Hast du eine Uhr verschluckt?

Euer Edward ganz aktuell
Euer Edward ganz aktuell

Liebe Grete,

 

zum Beginn des neuen Jahres schicke ich euch ein paar liebe Grüße in die Gänsewiesen. Gestern ist auch bei uns noch einmal etwas Schnee gefallen, dann fühle ich mich immer an meine Heimat erinnert, auch wenn hier alles viel flacher ist, ich bleibe dann lange im Garten. Im Dezember bin ich vier Jahre alt geworden, ich bin nun ein kräftiger und selbstbewusster Hund. In den zurückliegenden Jahren habe ich viel gelernt und weiß nun ziemlich sicher, was sich gehört. Längst ziehe ich meinen Familienmitgliedern morgens am Frühstückstisch nicht mehr die Schnürsenkel auf und beiße auch nicht mehr in den Besen, wenn Frauchen kehrt.Ihren Pantoffel aber klaue ich noch immer gerne, sie muss ihn dann mit einem Stückchen Wurst erst wieder auslösen. Auch ist mein Lieblingsspielzeug noch immer der lilafarbene Quietschball, den ich zurückbringe, wenn Herrchen ihn wirft, oder suche, wenn Angela ihn versteckt. Manchmal spiele ich auch ganz alleine damit und renne laut lärmend durch den Flur.

Angela hat im Herbst ein neues Buch über Hundepsychologie gelesen und mit mir neue Gehorsamsübungen und Kunststücke gemacht. Zuerst dachte ich „Puuh, das wird sicher anstrengend“ und habe mich kräftig geschüttelt. Aber auch als erwachsener Hund hatte ich schnell begriffen, was sie von mir wollte, und an den Übungen viel Freude, denn ich wurde immer gelobt und bekam eine Belohnung, wenn ich mich richtig verhalten hatte. Doch immer gehorsam sein, macht auch keinen Spaß, manchmal muss ich auch meinen kleinen Dickkopf durchsetzen, und ich merke immer ganz schnell, ob der Augenblick gerade günstig ist und meine Familie den Befehl gerade nicht ganz so ernst nimmt. Das kann ich an ihren Gesichtern ablesen. Ich kenne meine Leute und ihre Absichten inzwischen sehr gut, da ich ihre Mimik und auch die Körpersprache genau studiert habe.

Auch ich selbst setze beides gezielt ein. So meint Angela etwa, ich solle etwas abnehmen, der stämmige Körper tue meiner Schönheit Abbruch. Aber wenn ich sie lange genug mit schief gelegtem Kopf und kugelrunden Augen angeschaut habe, konnte ich sie bisher jedes Mal wieder umstimmen: Sie sagt dann immer: „du armer, hungernder Hund“ und füllt noch etwas Futter in meinen Napf.. Wie schon damals als Welpe, habe ich ständig Hunger, doch hat sich mein Geschmack inzwischen veredelt – ich fresse längst nicht mehr alles, was man mir anbietet. Manchmal schaue ich Angela auch abends ganz ernst und beschwörend an, wenn ich meine, es sei Zeit für meinen Spaziergang. Sie sagt dann immer, „du hast tatsächlich irgendwann einmal eine Uhr verschluckt,“ und manchmal meint sie auch, „das ist schlimmer als Hypnose, diesem Blick kann kein Mensch widerstehen!“ Und ich habe meinen Willen erfolgreich durchgesetzt.

Ich bin immer noch ein schöner Hund, und mein Fell glänzt wie Seide, obwohl ich Angela seine Pflege nur selten gestatte. Streicheln lasse ich mich dafür umso lieber – wenn ich mich wieder einmal an ihre Beine schmiege, fragt meine Familie sich oft, ob ich wirklich ein Hund bin oder nicht vielleicht doch eine Katze …

Doch ich bin ein sehr zuverlässiger Wachhund – selbst wenn ich gerade etwas gedöst hatte, schlage ich immer sofort an, wenn sich ein Fremder dem Haus nähert, einer der Nachbarhunde ausgeführt wird oder ein anderes Tier umherstreift. In unser Dorf ziehen immer neue Hunde. Nicht alle mag ich gerne leiden, mit Hündinnen verstehe ich mich meistens gut, egal wie groß sie sind, Rüden vertreibe ich jedoch oft laut  bellend, manchmal tief knurrend, aus meinem Revier. Ich freue mich immer, wenn Gäste oder Handwerker ins Haus kommen und begrüße sie ungestüm, freudig laufe ich auch jenen Besuchern entgegen, die ich noch niemals vorher gesehen habe.

Abends, wenn die gesamte Familie zu Hause ist, bin ich zufrieden. Dann ziehe ich mich oft zurück, weil ich in Ruhe schlafen möchte, der Fernsehapparat ist mir viel zu laut und die großen Tiere, die manchmal über den Bildschirm laufen, wecken häufig meine Verteidigungsbereitschaft. Nicht immer rolle ich mich abends in meinem Korb zusammen, gerne liege ich auch auf dem bunten, selbstgeknüpften Teppich im Flur, auf dem weichen Vorleger im Badezimmer oder auf der Schleife der Fußbodenheizung in Herrchens Büro. Dann träume ich von großen Abenteuern mit anderen Hunden, einem riesigen Knochen oder von meiner Mama in den Gänsewiesen.

 

Ich wünsche euch allen ein gesundes, erfolgreiches und glückliches neues Jahr, in dem ihr viele nette Menschen und Hunde trefft und viele schöne Dinge erlebt.

 

Viele Grüße von deinem Edward.

3 Gedanken zu „Hast du eine Uhr verschluckt?“

  1. Lieber Edward,
    kannst du mir mitteilen, welches Buch Angela gelesen hat?
    Dann kann mich meine Familie damit vielleicht auch „ärgern oder erfreuen“.
    Du hast viel aus meinem Leben erzählt…
    Wuff!
    Dein Zino, Entlebucher in München

    1. Lieber Zino,

      gerne nenne ich dir den Titel des Buches:
      Dieter Eichler: „So folgt mein Hund mit Freude“, BLV Buchverlag 2008.

      Ich wünsche dir und Frauchen viel Erfolg und Freude beim Üben!

      Viele Grüße von Edward

  2. freudig laufe ich auch jenen Besuchern entgegen, die ich noch niemals vorher gesehen habe.

    Diesen Satz hätte ich bis zum vergangenen Freitag genauso geschrieben -oder auch – mein Hund hilft dem Einbrecher die Taschen tragen.
    Aber oh Wunder !!!, am Freitagabend war ein Einbrecher im Garten und was macht unsere Mira? Sie bellt solange wie verrückt bis Herrchen den Garten mit der Taschenlampe ausgeleuchtet hat und den Typ dann auch gesehen hat. Mords-Aufregung, viele Polizisten, mit einem relativ friedlichen, weil wohl voll unter Rauschgift stehenden Einbrecher.
    Das Problem (für uns war es zumindest eines) mit der stürmischen Begrüßung von Besuch und Handwerkern haben wir gelöst indem der Hund an die Leine kam und Platz gehn mußte. Nach kurzer Zeit war der Dampf raus und der Hund hat den Besuch ruhig begrüßt.

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