Die neue Tierschutzhundeverordnung: Kontrollierte Hundezucht ist keine Qualzucht!? Echt jetzt?

Von Ralph Rückert, Tierarzt, und Johanne Bernick, Tierärztin

Obwohl die neue Tierschutzhundeverordnung bereits zum Jahreswechsel in Kraft gesetzt wurde und ihr Inhalt dem Verband für das Deutsche Hundewesen VDH und seinen angeschlossenen Rassehundevereinen schon lange zuvor bekannt gewesen sein dürfte, war das Entsetzen grenzenlos, als das Veterinäramt Erfurt für die ebendort Anfang Mai stattfindende Hundeshow auf dieser Verordnung basierende und weitreichende Zulassungsbeschränkungen verfügte und auch durchsetzte. Von ursprünglich 4000 Anmeldungen wurden 2400 schon im Vorfeld wegen dieser Anordnungen wieder zurückgezogen.

Man war wohl seitens des VDH und seiner Vereine von einem „Wird nicht so heiß gegessen, wie es gekocht wird“, von einer Fortsetzung des Status quo bei weiterhin bestehendem gesellschaftlichem und politischem Desinteresse an den durch die vereinsorganisierte Hundezucht zu verantwortenden Fehlentwicklungen (man könnte auch sagen: Sauereien!) ausgegangen. Diese Erwartung wurde bitter enttäuscht. Entsprechend groß ist natürlich nun die Aufregung.

Nochmal für alle Leser:innen, die nicht so an dem Thema dran sind, der Text des entscheidenden Paragraphen 10 der neuen Verordnung:

„Es ist verboten, Hunde auszustellen oder Ausstellungen mit Hunden zu veranstalten,

  1. bei denen Körperteile, insbesondere Ohren oder Rute, tierschutzwidrig vollständig oder teilweise amputiert worden sind oder
  2. bei denen erblich bedingt
  3. a) Körperteile oder Organe für den artgemäßen Gebrauch fehlen oder untauglich oder umgestaltet sind und hierdurch Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten,
  4. b) mit Leiden verbundene Verhaltensstörungen auftreten,
  5. c) jeder artgemäße Kontakt mit Artgenossen bei ihnen selbst oder einem Artgenossen zu Schmerzen oder vermeidbaren Leiden oder Schäden führt oder
  6. d) die Haltung nur unter Schmerzen oder vermeidbaren Leiden möglich ist oder zu Schäden führt.

Satz 1 gilt entsprechend für sonstige Veranstaltungen, bei denen Hunde verglichen, geprüft oder sonst beurteilt werden.“

Liest sich für uns juristische Laien ganz schlüssig und vernünftig, hat es aber, wenn man ins Detail geht, wirklich in sich. Um nur zwei einfache Beispiele zu nennen: Ob man in Zukunft noch Bulldoggen oder Boston Terrier bei einer Hundeausstellung wird präsentieren können, braucht man gar nicht erst zu diskutieren. Da muss man noch nicht mal mit dem in der Regel untauglichen Atmungsapparat anfangen, denn schon die rassetypischen und mit einem kurzen Blick von außen als im Sinne der Verordnung nicht akzeptabel zu beurteilenden Krüppelschwänze reichen als Disqualifikationskriterium dicke aus. Mastiffs und so einige andere Riesenrassen werden routinemäßig durch ihre sogenannten Karo-Augen aus dem Rennen geworfen, die nur noch entfernt an die Augen und Augenlider erinnern, wie sie die Natur mal entwickelt hat.

Die Auflistung ließe sich seitenweise fortsetzen, weil es viele potentielle Qualzuchtmerkmale bei ebenso vielen verschiedenen Rassen gibt. Das Veterinäramt Erfurt hat nun mit seinen (in unseren Augen sehr mutigen!) Anordnungen eine eigentlich ziemlich revolutionäre Entwicklung angestoßen, nämlich eine Beweislastumkehr in dem Sinne: Nicht wir, die für die Einhaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen zuständigen Behörden, müssen euch, den Ausstellern, beweisen, dass eure Hunde Qalzuchtmerkmale aufweisen! Nein, das läuft genau andersrum! Ihr beweist uns – durch entsprechende tiermedizinische Untersuchungen – schon im Vorfeld der Show, dass eure Hunde im Sinne des Paragraphen 10 Tierschutz-Hundeverordnung ausstellungsfähig sind! Unserer Meinung nach ist das der genau richtige Weg! Letztendlich halt wie beim TÜV für das Auto: Nicht der Staat muss mir im Einzelfall nachweisen, dass mein Auto für die sichere Teilnahme am Verkehr ungeeignet ist, sondern ich habe durch ein (natürlich kostenpflichtiges!) Gutachten das Gegenteil zu belegen.

Über die genaue und möglichst bundeseinheitliche Ausgestaltung dessen, was dabei je nach Hunderasse zwingend abgehakt werden muss, wird nach diesem ersten (und sicher noch nicht perfekten) Paukenschlag sicher Diskussionsbedarf bestehen, wobei die nun gerade anlaufende Gegenkampagne einiger Zuchtvereine im VDH den deutlichen Anschein erweckt, als ob man sich von Züchterseite her schon im Vorfeld endgültig als rational denkender Diskussionspartner zu disqualifizieren versucht.

Man lasse sich die Texte der geplanten oder schon veröffentlichten Broschüren bzw. Plakate mal auf der Zunge zergehen: „Kontrollierte Hundezucht ist keine Qualzucht!“ Da lachen doch die Hühner! Entschuldigung, wo, wenn nicht in der vereinsorganisierten Zucht, sind denn diese maximal übertypisierten Rassen entstanden, die wir heute als Qualzuchtrassen benennen? Wer hat denn aus früher noch funktionalen Hunden verkrüppelte und dauerleidende Karikaturen gemacht, wenn nicht offizielle VDH- bzw. FCI-Zuchtrichter:innen, die über Jahrzehnte und meist unter vollständigem Ignorieren des eigenen Rassestandards immer noch extremere Exemplare der jeweiligen Rassen zu Champions erklärt haben? Wer, wenn nicht die „kontrollierte Hundezucht“, hat denn den Karren im letzten halben Jahrhundert derartig an die Wand gefahren, dass einzelne Rassen nach Auffassung von Populationsgenetikern auf der Basis des vorhandenen Genpools gar nicht mehr zu retten sind?

Im Gegensatz zu so mancher oder manchem Tierschutzbewegten sind wir grundsätzlich absolut keine Feinde der Rassehundezucht. Die durch Anpassung an verschiedene Aufgaben und Umweltbedingungen entstandenen Hunderassen bzw. Rassegruppen sind per se in unseren Augen ein durchaus schützenswertes Kulturgut der Menschheit. Aber auch und gerade unter diesem Gesichtspunkt können wir der vereinsorganisierten Hundezucht nur erbittert vorhalten, wie maximal furchtbar sie diese ihre eigentliche Aufgabe, also den Erhalt gesunder und leistungsfähiger Rassen, in den letzten Jahrzehnten verbockt hat. Um jetzt herzugehen und in peinlich-pathetischer Verstocktheit den Slogan „Tierwohl geht nur mit uns!“ rauszurotzen, braucht es wahlweise mehr Verblendung oder mehr Verlogenheit, als wir noch nachvollziehen könnten.

Ein weiteres Zitat aus dem Kleingedruckten der Kampagne: „Nur 18% aller Rassehunde in Deutschland stammen aus kontrollierter Zucht. Der Großteil schwerer Defektzuchten findet außerhalb der großen Zuchtvereine statt. Deshalb ist es wichtig, die kontrollierte Rassehundezucht zu schützen und zu erhalten.“ Was ist das für eine schräge Argumentation? Ja, es ist natürlich völlig unstrittig, dass gegen die fast schon im industriellen Maßstab arbeitenden Vermehrer in Osteuropa und auf dem Balkan noch deutlich wirksamere Maßnahmen gefunden werden müssen. Dass man aber deswegen NICHT im nationalen Rahmen gegen die von VDH-Züchtern verbrochenen Auswüchse vorgehen dürfte, ist ja wohl völlig absurd! Davon abgesehen: Das „Schnittmuster“, das optische Bild populärer Rassen wie zum Beispiel der Französischen Bulldogge, an dem sich die ungarischen, rumänischen oder serbischen Vermehrerbetriebe orientieren, um mit ihren Welpen hierzulande möglichst viel Profit zu generieren („Haben will, und zwar sofort!“), ist definitiv auf VDH-/FCI-Zuchtschauen entstanden. Schaut man sich die Fotos der Plattnasen-Best-of-Breeds der letzten großen Ausstellungen vor dem Beginn der Pandemie an, kann man ohne jeden Zweifel feststellen, dass innerhalb der „kontrollierten Hundezucht“, also im VDH und anderen nationalen Verbänden, aus medizinischer Sicht letztendlich genau der gleiche Mist „produziert“ wird wie in einer beliebigen osteuropäischen Puppy-Mill.

Es ist aus unserer Sicht also völlig legitim, dass die Gesamtgesellschaft und ihre politischen Repräsentanten nun nach jahrzehntelangen Ermahnungen im Guten endgültig die Geduld verloren haben und der „kontrollierten Hundezucht“ in Deutschland handfest klar machen, dass Schluss sein muss mit dieser ungenierten Zurschaustellung und Tinnef-Pokal-Prämierung von lebenslang für menschliche Schönheitsideale leidenden Tieren! Wann immer in unseren Artikeln oder Social-Media-Postings von Qualzuchthunden die Rede ist, fordern viele Tierfreund:innen ein Zuchtverbot. Ein faktisches Ausstellungsverbot ist der erste logische Schritt in diese Richtung. Dass dabei im Sinne einer rechtlichen Gleichbehandlung auch Rassen ihre Ausstellungstauglichkeit nachweisen müssen, bei denen der Laie nicht sofort an Qualzucht denkt, ist ebenfalls nur folgerichtig und sollte eigentlich auch von Züchter:innen begrüßt werden, die sich der Gesundheit ihrer Hunde sicher sind.

Bleiben Sie uns gewogen, bis bald,

Ihr Ralph Rückert, Ihre Johanne Bernick

© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm

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