Edward von den Gänsewiesen

Liebe Grete,

 

ich hoffe, ihr hattet ein schönes Weihnachtsfest, und wünsche euch alles Gute für das gerade begonnene neue Jahr! Ich wollte eigentlich schon viel früher schreiben, aber auch als Hund hat man seine Pflichten, und ich hatte so viel zu tun.

 

Im Dezember bin ich zwei Jahre alt geworden. Ich bin jetzt ein großer Hund und weiß, wo ich im Leben stehe, was ich darf und was ich besser nicht tun sollte … Zu meinen Aufgaben gehört es nicht nur  das Haus Tag und Nacht zu bewachen und, wenn ich irgendetwas Verdächtiges höre, Krach zu schlagen, sondern auch im Garten nach dem Rechten zu sehen. Von dort kann ich beinahe die ganze Gegend überblicken. Und wehe, von irgendeiner Seite nähert sich ein Rüde, dann laufe ich knurrend und laut bellend in Windeseile von einer Ecke zur anderen  immer gerade an die Stelle des Zaunes, wo ich ihn am besten sehen kann. Manchmal kommt aber auch einer meiner Freunde vorbei, wie etwa Trixie, eine kleine Terriermischlingshündin, leider ist sie schon eine alte Dame und hat draußen meist ziemlich schnell genug von meinen stürmischen Spielen. Auch wenn Cora, eine junge Golden Retrieverhündin vorbeikommt, freue ich mich und begrüße sie bellend und Schwanz wedelnd am Zaun, meine Schnauze so gut wie möglich durch die engen Maschen pressend. Meine große Liebe aber ist Ayla, eine Hovawarthündin, die nur ein paar hundert Meter entfernt im alten Bahnhof des Dorfes wohnt. Sie ist auf den Tag genau so alt wie ich, und ich lernte sie schon in der ersten Woche kennen, in der ich in Freienfels war. Damals schon spielten wir zusammen und auch später noch, als sie mir schon längst über den Kopf gewachsen war, rasten wir zusammen über die Wiesen. Fast täglich ging ich mit Frauchen am Bahnhof vorbei, nie bellte sie, wenn ich vorbeilief, immer aber kam sie ganz dicht an den Zaun und begrüßte mich Schwanz wedelnd mit Küsschen. Diese Zeiten sind leider vorbei, mittlerweile hat sie einen großen Bruder bekommen und jedes Mal, wenn ich an der Leine dort mit Angela vorbeikomme, knurrt Ben schon von weitem und bellt böse, wenn ich am Zaun stehen bleibe und vergebens warte, Ayla aber kommt nicht mehr. Traurig trotte ich wieder weg, von Angelas beruhigenden Worten kaum getröstet, bis ich am Wegesrand schließlich eine neue Spur aufgenommen habe, der hinterherzujagen es sich lohnt. Wenn ich einen interessanten Geruch wahrgenommen habe, ziehe ich kräftig an der Leine und Angela muss schnell hinter mir her laufen, denn mittlerweile bin ich ein starker Hund geworden. Angela sagt, dass sei nicht schlimm, so lange sie mich halten könne, denn diese gewisse Eigenwilligkeit mache doch gerade meinen unverwechselbaren Charme aus!

 

Auch kommen an unserem Gartenzaun immer wieder fremde Spaziergänger vorbei, die mich bewundern. Herrchen sagt auch, ich sei der schönste Hund im ganzen Dorf. Angela meint, ich könnte ein wenig fasten, bringt es aber dann doch nicht übers Herz, meinen Napf leer an seinem Platz stehen zu lassen, wenn meine Pfote nach meiner Mahlzeit noch einmal an ihrem Hosenbein kratzt und meine Augen sie flehentlich von unten anschauen. Sie sagt, wenn es wieder wärmer wird, müssen wir mehr laufen. Und wenn ich dann im Garten liege und an das kommende Frühjahr denke, träume ich manchmal davon, eine neue Freundin zu finden, gesagt, habe ich aber noch niemandem etwas davon.

 

Wenn ich keine Lust mehr habe, im Garten herumzulaufen, tiefe Löcher zu graben und nach Mäusen zu suchen, gehe ich ins Haus. Auch dort habe ich zu tun. An den Wochenenden, wenn Angela den ganzen Tag zu Hause ist, muss ich sie nämlich immer zu den Mahlzeiten rufen. Und kurz vorher laufe ich dann zu ihrem Zimmer und kratze an der Tür. An untrüglichen Gerüchen und Zeichen erkenne ich nämlich immer, wenn es bald Essen geben wird. Auch sonst kümmere ich mich um meine Familie. Neulich lag Angela auf dem Boden, weil ihr ein Radiergummi herunter gefallen und unter den Schrank gerollt war. Ich lief sofort hin und beschnüffelte sie, um zu prüfen, ob alles in Ordnung ist, normalerweise pflegt sie nämlich nicht, auf dem Boden zu liegen. Auch wenn einer in der Familie niest, hustet oder sich anders als gewöhnlich verhält, laufe ich immer ganz schnell hin. Angela sagt, er ist so feinfühlig und klug, er kann noch viel mehr lernen. Wenn ich zwischendurch einmal bei ihr am Zimmer vorbei schaue, dann öffnet sie mir die Tür, streichelt mich, setzt sich wieder an den Schreibtisch und sagt, sie müsse weiterarbeiten. Was immer sie mit „weiterarbeiten“ meint, für mich ist das kein gutes Wort. Ich trotte dann davon und mache mich auf den Weg zu Herrchens Zimmer. Er hat meistens Zeit für mich und streichelt mich erst einmal ausgiebig. Auch hat sein Zimmer die großen bodentiefen Scheiben, von denen aus ich die Felder bis zum Waldrand überblicken kann und sofort sehe, wenn sich hier etwas Außergewöhnliches tut, das ich melden muss. Daneben rentiert sich auch ein Besuch in der Küche bei Frauchen immer.

 

So nun muss ich aber wieder an die Arbeit! Ich wünsche euch allen in den Gänsewiesen ein gesundes, erfolgreiches und glückliches neues Jahr! Und in der nächsten Post werde ich euch wieder einmal Fotos schicken, Angela hat versprochen, neue Bilder zu machen, wenn die Sonne wieder scheint, damit ihr sehen könnt, was für ein großer stattlicher Hund ich mittlerweile geworden bin.

 

Viele Grüße

von Edward

 

Ein Gedanke zu „Edward von den Gänsewiesen“

  1. Lieber Edward!
    Zu Deinem köstlichen, treffenden Bericht über Deinen Tagesablauf kann ich nur sagen:
    „Cosi fan tutte!“
    (übrigens meine Lieblingsoper von Mozart).
    Ich sehe dabei unseren Moritz von den Gänsewiesen (25.09.2011), wie er leibt und lebt und wie wir ihn über alles lieben.
    LG – Gerhard

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